olaf kriseleit @culture.hu-berlin.de
Seminar "Funkhäuser" am 20.10.97

Ziel des Projektes

...ist die Erfassung räumlicher Aspekte eines Mediums, das scheinbar nur Wort und Ton trägt. Die Faszination des Rundfunks liegt vor allem in seinen raumüberwindenden und -modulierenden Eigenschaften. Rundfunk und seine Vorläufer etablierten den Faktor Echtzeit in der Fern-Kommunikation. Nach dem Straßen, Kanal- und Schienennetz wurde ein völlig neues Transportnetz kreiert, nicht zum Transport von greifbaren Gütern wie Kohle, Erz, Getreide, Sklaven, Waffen, etc., sondern zum elektrischen Transport von kurzen oder langen Morsezeichen, die nach Meinung von Morse "das ganze Land in eine einzige Nachbarschaft verwandeln"[1] würden. Durch die Kabel- und schließlich kabellose Kommunikation wurde das existierende Verhältnis von Raum und Zeit völlig aus den Fugen gehoben. "Über die ...Kabelverbindung zwischen Washington und Baltimore, die Morse errichtet hatte, informierte der Baltimore Patriot seine Leser über einen Beschluß, den das Repräsentantenhaus...gefaßt hatte. Abschließend stellte die Zeitung in ihrem Bericht fest:» [...] auf diese Weise sind wir imstande, unseren Lesern bis zwei Uhr Informationen aus Washington zu liefern. Das ist praktisch die Aufhebung des Raumes.»"[2]

Wie Lackmuspapier uns Unsichtbares zeigt, werden die elektromagnetischen, raumgreifenden Vorgänge im "Ätherraum" durch die Architekturen der Sendestationen sichtbar gemacht.

Im Projekt sind drei Teilzusammenhänge zu untersuchen:

  • 1.Der Anteil des "Wireless" an der Demontage des alten Raum- Zeit- Verhältnisses. Schlagworte zu dieser Problematik sind Zeitzeichen, Senderreichweiten und -tabellen, Verkehrsfunk und Echtzeit. Einst wurden Faszination, Zauber und Massenpsychosen (durch Orson Welles "War of the Worlds"-Hörspiel) ausgelöst, denen heute nur Langeweile und Penetranz zu folgen scheinen.
  • 2. Der Rolle des Raumes bei Rundfunkhören ist nachzugehen. Radiomacher und -theoretiker experimentier-ten und philosophierten über den "Radioräume", "Hörbühnen", "Innere Bühnen" oder "Theatre of the mind" Wo und wie entsteht beim Übertragen akustischer Information ein Raumeindruck und welche Rolle spielt er für die Rezeption? Der Lautsprecher ist die Schnittstelle zwischen Ätherraum und Raumillusion.
  • 3.Welche räumliche Konstellationen sind Grundlage für Rundfunkproduktionen selbst und wie widerspiegeln solche Raumgebilde Funktion und Geschichte des Mediums? Dieser Frage soll mit "Portraits" einiger Radiostationen in Berlin und Umgebung nachgegangen werden, die als Video, Tondokument, Comic, Animation oder Webseite,... erstellt, präsentiert und diskuktiert werden. Ergebnis könnte eine unvollständige Bestandsaufnahme der heutigen Schnittstellen zwischen Real-Raum und Ätherraum sein. Notwendige Wissensbasis für die Erstellung qualifizierter Portraits bilden die mehr theoretischen Projektsitzungen und Referate zu den Themen 1 bis 3.

[2] Neil Postman:Wir amüsieren uns zu Tode- Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie, Frankfurt am Main 1988, S.86